Seit mittlerweile fünfzehn Monaten befinde ich mich auf meiner kleinen Welterkundungstour. Nach einem langen und kalten Winter in Sibirien, einem abenteuerlichen wilden Sommer in Alaska bereise ich nun die paradiesischen Inseln, Regenwälder, Reis- und Teeterrassen der Länder Südostasiens. Endlich kann ich meiner Sehnsucht nach dem Fremden nachgehen; den Schmerz des Fernwehs lindern, sich dem Gewohnten entziehen, dem Ungewohnten hingeben.
Zu Beginn einer jeden längeren Reise lässt eine Aneinanderreihung von Erlebnissen, Abenteuern, Begegnungen keine Zeit zur Wiederaufnahme von gewohnten Strukturen. Endlich losgelöst von jeglichen Gewohnheiten und Regelmäßigkeiten aus der Heimat, wird der Gefühlshaushalt regelrecht überflutet von ständig neuen Eindrücken. Das Bekannte wird ersetzt durch das Unbekannte. Jeden Tag eine neue, andere Erfahrung. Jeder Tag ein Erlebnis. Das Gedächtnis kommt mit der Verarbeitung der vielen Impressionen kaum mehr hinterher.
„You’re living the dream!“ ist die häufige Reaktion zu meiner Reise. Einheimische bewundern mich für meinen Mut, meine Neugierde, mein Vertrauen; Reisende beneiden mich für die scheinbare Unendlichkeit meiner Reise. Kein Ende in Sicht, wer möchte das nicht?
Dabei übersehen sie häufig den Preis, den ich für diese Art von Freiheit zahle. Mein gewohntes Leben habe ich hinter mir gelassen. Außerhalb deines eigenen Landes ist der Reisende immer der Fremde, auch wenn es sich meistens nicht unbedingt so anfühlt. Weltenbürger fühlen sich überall zuhause, auch wenn sie es nicht sein können. Jeden Tag musst du dich neu orientieren, dich neu zurechtfinden, immer wieder neue soziale Beziehungen eingehen und ausbauen. Das ist anstrengend und kostet viel Energie. Nach mehreren Monaten müsste man daran gewöhnt sein, sollte man meinen. Gewohnheiten stellen sich beim Reisen jedoch besonders schwer ein. Wie denn auch? Ständig wechselnde Unterkünfte, Zimmer, Betten; andere Menschen; wieder eine andere Sprache, Schrift und Währung; wieder neues, unbekanntes Essen; neue Geschmäcker und Gerüche. Alles wieder von vorne.
Zunächst ist man mit der Verarbeitung dieser unzähligen neuen Eindrücken und Erlebnissen so sehr beschäftigt, dass keine Zeit zum Vermissen bleibt. Erst nach einer Weile stellt sich ein Gefühl des Heimwehs ein. Nicht, dass man unglücklich wäre und man gerne wieder nach Hause zurückkehren möchte. Im Gegenteil. Am liebsten würde man das gute Altbekannte mit dem aufregenden Unbekannten kombinieren und eine ganz eigene Kreation daraus erschaffen.
Welcher Reisende kennt es nicht? Schon wieder nur Reis zum Frühstück; schon wieder muss ich als Ausländer mehr zahlen als der Einheimische; schon wieder kann mir niemand richtig Auskunft erteilen; schon wieder werde ich nicht verstanden und kann nicht verstehen; schon wieder ein durchgelegenes Bett; schon wieder eine schmutzige Toilette; schon wieder kein heißes Wasser. Eine unendliche Liste von unzähligen Beispielen könnte an dieser Stelle folgen.
Und plötzlich ist es da. Ein Gefühl, das man lange nicht verspürte. Es drückt in der Brust, der Kopf ist angestrengt, voll mit Erinnerungen an das Altbekannte, das Vertraute. Vermissen. Sich nach dem Gewohnten sehnen. Was würde ich für eine Brezel, mein Bett, mein Bad, ein Wiedersehen mit meinen Freunden geben?
Eigentlich vollkommen sinnfreie Gedankengänge. Fragen ohne Antworten. Nur wenn ich in meine Heimat physisch zurückkehre, kann ich die ersehnte Brezel essen, in meinem Bett schlafen, in meinem Bad duschen und mit meinen Freunden plaudern. Eine Option, die sich real nicht stellt.
Was kann ich stattdessen tun? Selbst für ein bisschen Heimat in der Fremde sorgen. Wie? Zum Beispiel…
-…sich im Duty Free Shop mit seinem Lieblingsparfüm, für welches im Rucksack natürlich kein Platz mehr war, ein sprayen bevor du in den Flieger steigst. Endlich wieder riechen wie zuhause!
-…Essen und Trinken ganz besonders genießen, die dich an kulinarische Köstlichkeiten aus der Heimat erinnern. Zum Beispiel ein Gebäck, das so schmeckt wie der Kuchen, den mir meine Mutter immer backt, wenn ich zu Besuch komme. Sich mit dem ähnlichen Geschmack für einen Moment nach Hause an den Tisch der Eltern zurückversetzt fühlen. Wenn du wieder das gute Essen von zuhause vermisst, dann erinnere dich einfach zurück mit dem ausländischen Äquivalent.
-…Musik hören, die du mit besonderen Erlebnissen zuhause verbindest. Ein Lied auf welches du mit deinen Freunden besonders abgetanzt und gefeiert hast. Wenn die Party im fremden Land so gar nicht deine Feierlaune befeuern kann, höre deinen altvertrauten Song und erinnere dich zurück wie viel Spaß du damals hattest.
-…hier und da mal wieder in deiner Muttersprache sprechen. Normalerweise möchte ich auf meinen Reisen keinen anderen Deutschen begegnen. Sich allerdings zwischendurch wieder in der eigenen Sprache problemlos unterhalten zu können, kann sehr schön und erleichternd sein. Endlich wieder verstanden werden, endlich wieder verstehen. Alle Worte finden, sich keinen Kopf über Grammatik und Aussprache machen zu müssen, Wortwitze reißen, einfach wieder richtig losquatschen. Das tut zwischendurch wirklich gut!
-…mit Personen mehr Zeit verbringen, die dich an Freunde von zuhause erinnern: Ein ähnliches Outfit, das gleiche Lachen, verwandte Charakterzüge. Manchmal können es Kleinigkeiten sein, die du mit Freunden von zuhause verbindest und in ‚Fremden‘ wiedererkennst. Für mich ist es besonders schwer, dass ich all die Erlebnisse und Eindrücke nicht real mit meinen Freunden und meiner Familie teilen kann. Deshalb tut es besonders gut sich mit ihrem ‚Reise-Pendant‘ zusammenzutun und die Merkmale, die dich an deine Liebsten von zuhause erinnern, besonders zu genießen. Dann fühlt es sich manchmal fast so an als säße deine beste Freundin plötzlich vor dir.
-…Traditionen aus deinem Alltag in der Heimat versuchen während deiner Reise wiederzubeleben. Endlich wieder mit einer Gruppe gemeinsam einkaufen, Essen zubereiten und ein köstliches Abendessen mit lecker Wein genießen. Dazu unterhaltsame Anekdoten. Fast so wie zuhause!
Das beste Hilfsmittel gegen Vermissen und Heimschmerz ist für mich jedoch, wenn mich Freunde auf meinen Reisestationen besuchen kommen und wir gemeinsam für ein paar Wochen die Welt erkunden können.
Auf einmal fühlen sich das andere Land, die neue Kultur und das unbekannte Essen gar nicht mehr so fremd an. Die Heimat scheint nicht mehr so fern, sondern ganz nah. Ein beruhigendes Gefühl, das den Weltenbummler über all die alltäglichen Schwierigkeiten und Probleme während seiner Reise hinwegsehen und das Unbekannte vertrauensvoll wieder genießen lässt.